Jahresendrallye trotz Materialknappheit: Aufgeschoben ist nicht aufgehoben!
Marktkommentar KW 44 | 2021
Es wirkt paradox: Während sich dank der Lieferschwierigkeiten immer neue Risse in der Weltwirtschaft auftun, laufen die Aktienmärkte zu neuer Höchstform auf. Wie passt das zusammen? Einerseits sorgen fast alle veröffentlichen Quartalszahlen für eine positive Stimmung. Hier zeigt sich, dass die globale Güternachfrage ungebrochen ist. Für die Unternehmen der Realwirtschaft sind die gegenwärtigen Lieferkettenprobleme hingegen problematisch, denn dadurch gehen Aufträge und Umsätze verloren. Die Aktienmärkte sind sich aber sicher: Aufgeschoben ist nicht aufgehoben. Sie erwarten, dass sich die Transportprobleme im nächsten Jahr reduzieren und die Gewinne daher nur verspätet fließen werden. Und da an den Börsen nicht die Gegenwart, sondern die Zukunft gehandelt wird, scheint es derzeit zu heißen: Fertig machen zur Jahresendrallye!
Tapering ohne Tantrum
Zusätzlich bläst auch die US-Notenbank in das gleiche bullishe Horn. Zwar verkündete die Fed am Mittwoch das von den Märkten lange erwartete Tapering der Anleihekäufe um 15 Mrd. USD pro Monat, behält aber die Leitzinsen weiter auf aktuell niedrigem Niveau. Folglich kommt die Fed nur dem nach, was Jerome Powell bereits lange mit Engelszungen angekündigt hat. Dementsprechend hatten die Kapitalmärkte ausreichend Zeit sich auf den bevorstehenden Entzug an neuer Liquidität einzustellen. Nach wie vor pumpt die Fed Milliarden in die Märkte und ist trotz steigender Inflationszahlen stimulierend unterwegs. Auch die britische Notenbank ließ am Donnerstag ihren Leitzins unverändert. Hier hatten die Märkte einen Zinsschritt bereits mit eingepreist. Derweil tritt die EZB ebenfalls auf die Bremse: EZB-Chefin Lagarde sieht die Bedingungen für eine Zinserhöhung im kommenden Jahr nicht erfüllt. Alles in allem Wasser auf die Mühlen der Kapitalmärkte, die die geldpolitischen Entscheidungen mit einer „Relief Rallye“ an den Aktien- und Anleihemärkten feierten.
Während die Industrieländer einem Ende der ultraexpansiven Geldpolitik nur sehr zögerlich entgegensteuern, haben einige Schwellenländer ihre Zinsen bereits mehrfach erhöht. So setzte die brasilianische Notenbank den Leitzins jüngst auf 7,75% fest, das russische Pendant auf 7,5%. Ein wesentlicher Grund für diese Vorreiterrolle im geldpolitischen Kurswechsel ist der Kampf gegen die Inflation. Diese fällt im Vergleich zu den Industrieländern noch stärker aus. Zusätzlich wollen die Länder einem erneuten Taper-Tantrum entgehen, indem sie auch im Falle einer Fed-Zinsanhebung als Finanzmarkt mit höheren Zinsen attraktiv bleiben.
Zur Beachtung: Frühere Wertentwicklungen lassen nicht auf zukünftige Renditen schließen. Die in diesem Dokument enthaltenen Informationen stellen keine Anlageberatung dar, eine Haftung ist ausgeschlossen.
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